Aus dem Bauch heraus: Warum Big Data noch keinen Unternehmer macht
Trotz Energiekrise, Ukraine-Krieg und einer kontinuierlich hohen Inflation, hat ein Thema auf Chefetagen immer noch Hochkonjunktur. Big Data versetzt so manchen CEO und Unternehmer scheinbar in einen wahren Datenrausch. Rund drei Viertel der europäischen Manager sehen den Aufbau neuer Geschäftsmodelle und Unternehmen als höchste Priorität an. Im Zentrum des Gründungsantriebs stehen immer die Möglichkeiten von Big Data als nahezu zauberhaftes Fluid, traditionelle Geschäftsmodelle und verstaubte Vertriebskonzepte in Rekordzeit ins digitale Zeitalter zu katapultieren. Goldene Zeiten also für Start-ups und Basis einer echten Renaissance deutschen Unternehmertums?
Den Kunden in- und auswendig kennen
Aber der Reihe nach. Was verbirgt sich hinter dem Management-Buzzword? Am besten kann man es wohl beschreiben als datenbasierte Transparenz darüber, was Kunden getan haben und deshalb in Zukunft tun werden – also meist kaufen. Anschaulich wird das im Online-Shopping. Wer auf Amazon ein Produkt kauft,
bekommt mit der Rechnung auch den Hinweis: „Kunden die dies gekauft haben, kauften auch jenes.“ Solcherlei Empfehlungen entstehen aus der Auswertung von Abermillionen Kaufdaten. Für Unternehmen eröffnet sich im Großen die Möglichkeit, ihre Geschäftsprozesse digital neu zu gestalten. Mit Hilfe von Big Data lassen sich Interaktionen, Muster und Abweichungen in einer Branche oder auf einem Absatzmarkt sehr genau analysieren.
Zieht man die richtigen Schlüsse aus dieser Analyse, können neue Produkte oder Dienstleistungen zielgruppengerecht auf den Markt gebracht werden. Der Aufwand für solcherlei Transparenz ist natürlich immens. Herkömmliche Methoden stoßen da rasch an ihre Grenzen. Also braucht es digitale Spezialisten, die einem das neue Geschäftsfeld eröffnen. Company Building ist das Schlagwort. Es werden nicht nur neue digitale Absatzkanäle etabliert, sondern gleich Tochterunternehmen mit eigener Sub Brand gegründet, die auch der Konzernmutter auf die digitalen Sprünge helfen sollen.
Wenn Hypes blind machen
Die Antriebsfeder hinter den Big Data-Bemühungen selbst etablierter Player ist klar. Ein Manager strebt immer danach, möglichst viel über seine (potenziellen) Kunden zu wissen. Idealerweise antizipiert er genau, welches Produkt sein Kunde nicht nur heute, sondern auch in Zukunft wünscht und bringt dieses vor der Konkurrenz auf den Markt. Klingt alles gut, oder? Hypes werden aber immer dann zum Problem, wenn sie den klaren Blick auf die Rahmenbedingungen und die eigenen Möglichkeiten trüben. Es gibt nämlich nicht wenige Manager und Unternehmer, die – auch weil das Thema komplex, neu und unbekannt ist – bedingungslos auf die Karte Big Data setzen und dabei gelernte
Gewissheiten schlicht über Bord werfen. Und genau hier lauert die Gefahr. Die Kombination aus fachlichen Wissensdefiziten und der Hoffnung auf absolute Gewissheit
(durch Big Data) setzt nämlich paradoxer Weise genau das außer Kraft, was viele Unternehmen groß und stark gemacht hat: das Unternehmertum. Unternehmertum zeichnet sich durch den Mut aus, neue Dinge zu wagen, Märkte mit innovativen Ideen und Produkten zu erschließen und dabei ins persönliche Risiko zu gehen, weil in die Zukunft blickend nicht alles gewiss sein kann. Mit Big Data scheint das Risiko auf der Marktseite extrem gering, denn man meint, den Kunden und seine Bedürfnisse bestmöglich und weitestgehend zu kennen. Auch muss man finanziell kaum ins Risiko gehen, keine neuen Produktionsstätten – vielleicht sogar in entlegenen Weltregionen – aufbauen, oder gar Kredite aufnehmen.
Ein paar Data Specialists mit MegaBrains werden es schon richten.
Ehrlich zu sich selbst
Die Risiken einer solchen, nur vermeintlich unternehmerischen Abenteuerlust liegen im Innern einer Organisation. Jeder, der Big Data für sich nutzen möchte, muss zunächst sicherstellen, dass generelles Know-How in Sachen Innovationsmanagement im Unternehmen vorhanden ist. Und bevor man in Datenströme abtaucht, sollte klar sein, ob das eigene Geschäftsmodell für ein digitales Corporate Venture wirklich und nachhaltig taugt. Und: Habe ich die richtigen Leute an Bord, die digitale Analysen beherrschen und in marktfähige Produkte übersetzen sowie die Vertriebskanäle professionell bespielen können? Ein guter Lackmustest ist die Frage nach dem bisherigen digitalen Track Record der eigenen Organisation und der Zustand der eigenen IT-Architektur.
Unternehmer als Datensklaven?
Das alles sind wichtige Fragestellungen, auf die echte Unternehmer Antworten finden müssen, bevor sie sich ins Big Data-Abenteuer stürzen. Ein weiterer Punkt ist aber mindestens ebenso wichtig. Das Streben nach absoluter Transparenz widerspricht in sich dem Grundprinzip einer mutigen unternehmerischen Entscheidung. Denn: Eine Entscheidung zu treffen, heißt zwischen mindestens zwei Alternativen zu wählen. Geht man davon aus, dass Big Data einem dies abnimmt, sprich quasi alternativlos den Weg ins unternehmerische Heil weist, ist man auf dem Holzweg. Unternehmer haben sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie zwar genau analysieren, aber eben auch mutige Entscheidungen ohne letzte Erfolgsgewissheit treffen. Sie gehen einen Weg und einen anderen eben nicht. Zum Unternehmertum gehört nun mal sowohl das Scheitern, als auch das Wiederaufstehen. Versuche ich als Unternehmer, diese Bias durch Big Data zu eliminieren, mache ich mich zum Sklaven der Daten und beraube mich der wichtigsten eigenen
Stärken, zu denen übrigens auch die berühmte und sprichwörtliche Entscheidung aus dem Bauch heraus gehört. Auch noch so viele Daten können dieses unternehmerische Gespür nicht ersetzen. Das gleiche gilt für die Leidenschaft, mit der Unternehmer ihr Geschäft aufziehen und oft über Generationen hinweg erfolgreich führen. Eine Lehre vieler erfolgreicher Entrepreneure ist es dabei eben, Trends zu erspüren, ihnen aber auch nicht bedingungslos zu folgen. Genauso zeichnet sich eine gesunde und ehrliche Selbsteinschätzung aus; ganz nach dem Motto: Das kann ich und dies nun einmal (noch) nicht. Unternehmer sind über Zahlen und Fakten hinaus kreativ und verfolgen ihre Ziele mit großer Beharrlichkeit und Ausdauer. Sie nutzen ihre Ressourcen klug und sind im besten Fall Teamworker, die ein Leben lang auch von anderen lernen.
Und hier schließt sich der Kreis. Setzen Unternehmer diese Tugenden klug ein und begreifen sie Big Data als das, was es ist, nämlich ein neues Business Tool, dann finden sie auch digital in die Erfolgsspur. Machen sie sich aber abhängig von den Datenströmen und vergessen die eigenen Stärken, bleiben sie auf der Strecke.