Strategieprozess: Trau’ keinem über 30?

Da saß er wieder: Peter M., Personalleiter der Super GmbH, der IT-Ausgründung eines Versicherungsunternehmens, und hatte den x-ten Termin bei CEO Uwe S. Das Thema war wie fast immer das gleiche. „Wir bekommen keine Leute“, beklagten sich die Bereichsleiter. Der smarte Mittvierziger musste wieder mal zum Rapport. Dabei hatte er doch wirklich alles getan. In einem klaren Prozess die Personalbedarfe bei den Business Units abgefragt, eine entsprechende Personalplanung mit deutlichem Wachstum vorgelegt und die Rekrutierungsaktivitäten über die altgewohnten Anzeigen hinaus auf „LinkedIn“ und „Stepstone“ erweitert. Die Ergebnisse aber waren ernüchternd. Nach wie vor hatte man 40 offene Stellen auf Schlüsselpositionen. Und wenn man dann doch junge Leute in die kleine Boomtown im Schwarzwald gelockt hatte – mit üppigem Einstiegsgehalt – hauten viele
noch in der Probezeit wieder ab. Der Tenor: „So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Das ist alles viel zu hierarchisch und starr hier“. Die Lage wurde wirklich von Tag zu Tag bedenklicher, der Personalmangel zur echten und einzigen Wachstumsbremse. Denn es waren gerade die jungen Leute mit umfangreichem digitalen Know-how, die die Super GmbH so dringend benötigte. Immer mehr digitale Lösungen verlangten die Kunden und die lieferten nun mal nur die echten Techies, Programmierer und Code-Spezialisten im Alter zwischen 25 und 35.

Eine neue Strategie muss her!

Für Chef Uwe S. war die Sache klar. Man hatte in der mehr als hundertjährigen Firmengeschichte in der Gruppe ja auch deshalb so erfolgreich agiert, weil man echte Werte hatte und lebte, verlässlich und beweglich war, dabei immer nah am Menschen. Wenn die Kandidaten nicht wollten, musste man ihnen geben, was sie verlangten. S. berief seine Führungskräfte also zu einem gemeinsamen „Strategy Review“ in die Schweizer Berge zusammen. Mit allen klugen Köpfen würde man sich selbst kritisch hinterfragen, jeden Stein umdrehen und die Strategie entsprechend justieren, um wieder attraktiv am Arbeitsmarkt zu werden. So mancher erfolgsverwöhnte Hidden Champion und etablierte Player hinterfragt sich dieser Tage auf diese Art und Weise. Man merkt, da draußen hat sich was verändert, also müssen auch wir uns ändern. Eine neue Strategie muss her. Und wenn man wie die Super GmbH auf digitale Champions angewiesen ist, dann muss die eigene Strategie und Kultur genauso wie der Außenauftritt diesen Ansprüchen Rechnung tragen. Leider begehen aber viele Unternehmen und Unternehmer in diesem eigentlich richtigen Ansatz einen eklatanten Fehler. Die klugen Köpfe, die da in Klausuren und Strategietagungen kräftig rauchen, sind oft die der sprichwörtlichen „alten weißen Männer“. Die Strategie-Task Forces bilden exakt die Hierarchien in den Organisationen ab – und in denen sind die, die man eigentlich (besser) erreichen will, eben quasi Alter und Betriebszugehörigkeit, ganz unten angesiedelt. Eine Top-Down-Strategie, die diesen Zielgruppen gerecht werden will, ist wegen der vorhersehbaren kognitiven Dissonanz von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Global vernetzt auf Augenhöhe

Aber der Reihe nach. Was hat sich denn da draußen so fundamental (werte)gewandelt? Was erwarten die Generation Y und Z von ihrem vielleicht sogar ersten Arbeitgeber? Wir reden von jungen und jüngeren Menschen, die zwischen 1980 und 1994 beziehungsweise nach 1994 geboren wurden und zu den bestimmenden demografischen Gruppen auf dem Kandidaten-markt werden. Die Generation X ist in den Wohlstand der Boomjahre hineingeboren worden; Bildung ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Bei der Generation Z gesellt sich eine gewisse Verunsicherung und Zukunftsangst dazu, geboren aus der Sozialisation in unsicherer globaler Lage. Die Generation Y ist idealistisch, hat aber wie die Generation Z eine viel niedrigere Aufmerksamkeitsspanne und sucht ständig nach Abwechslung – Social Media lässt grüßen. Beide Generationen sind digital virtuos unterwegs und verstehen sich als Teil einer global vernetzten Community, die ständig und auf Augenhöhe miteinander kommuniziert. Digital Natives und Technoholics denken mit Tablet und Smartphones und sind stets online. Beide Generationen sind weniger von der Aussicht auf sozialen Status, Top-Gehälter oder große Firmenwagen angetrieben. Sie geben und erwarten offenes Feedback, misstrauen bestehenden Systemen und erwarten Work-Life-Balance. Sie leben Work-Life-Blending – mit allen Vor- und Nachteilen für einen Arbeitgeber. Die Vorstellung einer lebenslangen Kaminkarriere ist in beiden Generationen schlicht obsolet. Die einen wechseln viel häufiger als ihre Arbeitgeber früher, die anderen sind bisweilen von der Fülle an Angeboten für den Jobeinstieg auch überfordert. Passt das mit dem Bild eines traditionellen Unternehmens zusammen? Durchaus, wenn man weiß, dass jüngere Menschen gerade großen, globalen Konzernen eher skeptisch gegenüberstehen und eben stark wertegetrieben sind.

Die Mischung macht’s

Was heißt das jetzt für unseren innovativen Mittelständler auf Orientierungskurs? Muss er all das über Bord werfen, was ihn über Jahrzehnte so stark gemacht hat? Nein, gewiss nicht. Denn ganz wichtig bleibt die Glaubwürdigkeit. Niemand wird sich in wenigen Tagen oder Wochen vom produzierenden Maschinenbauer zum Silicon Valley Start-up wandeln (können). Wer es versucht und etwas verspricht, dass er niemals halten kann, provoziert und generiert Enttäuschung und Fluktuation, nicht nur bei den neuen, sondern auch bei den altgedienten Mitarbeitern. Aber: Unternehmer müssen in ihrem Strategie- und Kulturprozess den neuen Anforderungen, Denk- und Handlungsweisen nachwachsender Generationen Rechnung tragen. Ein reiner Top-Down-Prozess kann nicht glaubwürdig und tragfähig sein. Bildet man im Strategie-Review-Prozess schlicht die bestehende Organisation und Hierarchie ab, kann nichts neues entstehen. Nur alter Wein in neuen Schläuchen. Ein geeigneter Weg ist es, bereits zu Beginn und über den ganzen Prozess hinweg, junge Menschen und ihre Präferenzen und Methoden zu integrieren, die Menschen abzuholen.

Gemischte Gruppen aus alten Hasen und neuen Köpfen sorgen für Reibung, Kreativität und letztlich ein glaubhaftes Bild eines Unternehmens als Arbeitgeber. Die einen punkten mit Erfahrung, die anderen mit neuen Ideen. Aus diesem Portfolio von Wertvorstellungen und Präferenzen muss ein kongruentes Bild mit klaren Leitsätzen entspringen, in dem sich alle Mitarbeitergenerationen nicht nur wiederfinden, sondern optimal einbringen können. So entsteht eine neue Arbeitgebermarke und Kultur, in der sich Coolness und bewährte Gewissheiten und Werte treffen. Eine solche Unternehmenskultur ist dann aber eben kein starres Bild, das für die nächsten 30 Jahre Bestand hat. Vielmehr lernt und lebt die Organisation dann eine Kultur, in der sie sich ständig selbst in Teilen neu erfindet und – ganz agil – in Nuancen neu justiert. Und genau das trägt dem externen Markt ideal Rechnung, der durch stetige Innovation und digitalen Wandel geprägt ist.